Veröffentlicht am • Wissenswertes rund um Energie
Die Energie- und Wassernetze bilden das Rückgrat der Region. Doch Fachkräftemangel und neue Anforderungen durch die Energiewende und den Klimawandel machen den zuverlässigen Betrieb deutlich anspruchsvoller. Deshalb gründen die Stadtwerke Dreieich und die Stadtwerke Neu-Isenburg eine Gesellschaft, um sich gemeinsam den Herausforderungen zu stellen. Warum das für die Versorgungsicherheit der Zukunft wichtig ist, erklären die beiden Stadtwerke-Chefs Steffen Arta (Dreieich) und Kirk Reineke (Neu-Isenburg) im Interview.
Steffen Arta: Definitiv haben beide Stadtwerke die Region bislang sicher und zuverlässig mit Energie und Wasser versorgt. Damit das auch in Zukunft so bleibt, gründen wir zum 1. Januar 2024 eine gemeinsame Gesellschaft, um die neuen, teils extremen Herausforderungen auf gleich mehreren Ebenen bewältigen zu können. Wir bündeln unsere Kräfte und sichern mit diesem Schritt die Zukunft der Versorgung in der Region."
Kirk Reineke: Ja. Corona, der Fachkräftemangel, die Energiekrise, die Energiewende – viele Themen trafen und treffen uns mit voller Wucht. Speziell mit dem Fachkräftemangel beschäftigen wir uns schon länger. Allein in dieser Hinsicht hilft uns die neue Gesellschaft enorm weiter. Denn im technischen Bereich suchen wir dringend Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter, angefangen bei den Azubis über Monteurinnen und Monteure bis hin zu Meisterinnen und Meistern. Bislang konkurrierten wir um die wenigen Azubis und Fachkräfte in der Region."
Steffen Arta: In Zukunft wird sich die Lage sogar weiter verschärfen. Altersbedingt verlieren wir bei den Stadtwerken Dreieich im Netzbetrieb in den kommenden zehn Jahren etwa die Hälfte des aktuellen Personals. In Neu-Isenburg sind es immerhin rund 30 Prozent."
Kirk Reineke: Im Gegenteil. Wir überführen alle 75 Mitarbeiter und Mitarbeiterinnen in die neue Gesellschaft und wollen künftig weiterwachsen. Die bisherigen technischen Leiter beider Stadtwerke berufen wir an die Spitze der Gesellschaft. Es gibt also je einen Geschäftsführer aus Dreieich und aus Neu-Isenburg."
Steffen Arta: Wir arbeiten auf Augenhöhe. Durch den Zusammenschluss der technischen Bereiche aller vier Sparten – also Strom, Gas, Wärme und Wasser – verdoppeln wir das Netzgebiet nahezu und bündeln gleichzeitig unsere Kompetenzen. Wir haben dann einen viel größeren Pool an Fachleuten, die sich auch gegenseitig vertreten können.
Steffen Arta: Für alle Angelegenheiten, die das Netz betreffen – ob Anschluss, Störung oder Anmeldungen von dezentralen Erzeugern oder Verbrauchern –, bleibt alles wie gewohnt. Wir behalten unsere Rufnummern bei und auch auf der Website sind alle Kontaktkanäle wie gewohnt erreichbar. Der einzige Unterschied besteht dann in der neuen Kleidung und dem neuen Logo. Das werden wir aber ausreichend kommunizieren. Etwas anders verhält es sich mit dem Kundenzentrum in Dreieich, das ab Januar in neuen Räumen in der Stadt zu finden sein wird. Denn der Sitz der neuen Netzgesellschaft ist hier in der Eisenbahnstraße, unsere Abteilungen Vertrieb und Services müssen also weichen."
Kirk Reineke: Das Gelände in Dreieich eignet sich optimal – allein aufgrund der üppigen Lagerkapazitäten und Parkflächen für den Fuhrpark. Dazu kommt die zentrale Lage auch für die Anfahrten nach Neu-Isenburg. Der Standort Eisenbahnstraße liegt in der Mitte unseres künftigen gemeinsamen Netzgebiets."
Kirk Reineke: Die Netze sind das Herzstück unserer Region, ihre Lebensadern. Mit dem Zusammenschluss verhindern wir ein Outsourcing, wie es immer häufiger in anderen Bereichen, wie etwa der IT, aufgrund fehlender Fachkräfte passiert. Wir möchten auch in Zukunft den Zählerschrank unserer Kundinnen und Kunden mit unseren Leuten öffnen oder die Gasstationen warten."
Steffen Arta: Als kommunale Unternehmen ist es unser vorrangiges Ziel, Arbeitsplätze und Wertschöpfung in der Region zu halten. Genau das erreichen wir durch den Zusammenschluss der technischen Bereiche. Durch den Ausbau erneuerbarer Energien, die Anpassung der Verteilnetze und die Wärmewende wird sich die Wertschöpfung künftig sogar eher steigern."
Kirk Reineke: Als wir unsere ersten Überlegungen anstellten, waren wir faktisch Vorreiter. Inzwischen haben uns aber einige überholt. Kooperationen und Übernahmen gehören mittlerweile in der Energiebranche zu einem wichtigen Instrument, um die Herausforderungen der Zukunft stemmen zu können. Uns war es vor allem wichtig, ein gleichberechtigtes Modell zu entwickeln und alle Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter einzubeziehen."
Steffen Arta: Auch auf kommunaler Ebene – also zwischen den Städten Dreieich und Neu-Isenburg – gibt es bereits Blaupausen. Zum Beispiel in den Bereichen Abfallwirtschaft und Abwasser, Grünflächen- sowie Sportstättenpflege. Nachdem für die Bürgermeister beider Städte klar war, welche Vorteile unser Projekt auch für die Belegschaft und den Netzbetrieb hat, unterstützten sie das Vorhaben energisch. Dazu kommt, dass die Stadtwerke in der Region – neben Dreieich und Neu-Isenburg auch Langen – in einigen Bereichen bereits seit 20 Jahren zusammenarbeiten. Zum Beispiel bei der Beschaffung und beim Nahverkehr."
Kirk Reineke: Zunächst geht es darum, die Belegschaft zusammenzuführen und zu einem echten Team zu entwickeln. Das wird sicherlich ein längerer Prozess sein. Im technischen Bereich hat ganz klar der Smart-Meter-Rollout ab 2024 höchste Priorität. Im Endeffekt stehen beide Häuser in den Startlöchern. Wir warten nur noch auf die Klärung der letzten rechtlichen Details."
Steffen Arta: Die Energiewende findet lokal statt. Auf allen Ebenen – beim Strom, bei der Wärme oder beim Verkehr. Deshalb ist klar, dass immense Investitionen auf den Netzbetrieb zukommen werden. Schließlich soll Deutschland bis 2045 klimaneutral sein. Ob im Bereich Wärme eine Elektrifizierung, der Umstieg auf Wasserstoff oder der Ausbau von Wärmnetzen ansteht, ist zwar noch offen, dennoch werden wir gewaltige Summen in die Hand nehmen müssen. Der Ausbau der Stromnetze steht auf jeden Fall an, ebenso die Digitalisierung des Niederspannungsnetzes. Aktuell rechnen wir mit etwa 5000 Euro Investition pro Einwohner. Das summiert sich auf jeweils 200 Millionen Euro für Dreieich und für Neu-Isenburg. Dazu kommen weitere Gelder für das Trinkwassernetz. Denn der Klimawandel sorgt auch in diesem Bereich für neue Herausforderungen."
Steffen Arta: Wir werden in der Region zwar keine Windkraftanlagen ans Netz nehmen müssen, aber die Photovoltaik wird hier auch eine große Rolle spielen. Das heißt, immer mehr Anlagen speisen oft schwankend ihren Strom in unser Netz. Parallel dazu werden wir weitere neue Verbraucher, allen voran Wärmepumpen und Ladestationen für Elektroautos, ins Netz integrieren. Damit die Netzfrequenz stabil bleibt, brauchen wir neben neuen Leitungen vor allem auch intelligente Lösungen, um den Stromfluss zu steuern."
Kirk Reineke: Die kommunale Wärmeplanung spielt für die Wärmeversorgung der Zukunft eine zentrale Rolle. Sie ist die Grundlage für alle weiteren Vorhaben. Denn dadurch sehen wir, wo in der Stadt Wärmenetze entstehen können oder wo eher elektrische Lösungen in der Wärmeversorgung sinnvoll sind. Die Rathäuser in Neu-Isenburg und Dreieich haben das Thema Wärmeplanung bereits auf der Agenda."
Steffen Arta: Richtig. Wir fördern in beiden Städten aus denselben Grundwasserleitern mit einer Tiefe von 30 bis 50 Metern. Trotz des regenreichen Frühjahrs stehen die Wasserampeln in Dreieich und in Neu-Isenburg bereits seit Anfang Juni wieder auf gelb. Es braucht eben seine Zeit, bis Niederschläge im Grundwasser ankommen. Gleichzeitig sorgten die heißen Temperaturen in den Sommermonaten für einen steigenden Verbrauch, weil Trinkwasser eben auch für Pools und die Gartenbewässerung eingesetzt wird."
Kirk Reineke: Obwohl wir in Neu-Isenburg einen eigenen Regenwasserkanal betreiben, der die gesammelten Niederschläge in umliegende Gewässer leitet, sieht die Lage nicht wirklich besser aus. Wenn kein Regen fällt, kommt eben auch nichts an. Wir haben dieses Jahr mit der Trinkwasserampel nachgezogen und rufen eindringlich dazu auf, mit dem kostbaren Nass sparsam umzugehen. Es ist inzwischen eine echte Herausforderung für uns als Wasserversorger, die tatsächlich abgerufenen Mengen auch zu liefern."